ADHS im Kindes- und Jugendalter
Symptome
Die Symptome der ADHS werden in zwei international anerkannten Diagnosemanualen beschrieben. Einen Überblick dazu finden Sie auch in diesem Podcast.
Unaufmerksamkeit
Die Kinder
- sind unaufmerksam gegenüber Details oder machen Sorgfaltsfehler.
- können meist nur schwer längere Zeit die Aufmerksamkeit aufrechterhalten.
- scheinen häufig nicht zuzuhören, wenn sie angesprochen werden.
- können oft Erklärungen nicht folgen.
- können ihre Aufgaben oder Pflichten oft nicht organisieren oder erfüllen.
- beschäftigen sich nur widerwillig mit geistig fordernden Aufgaben.
- verlieren häufig Gegenstände und sind vergesslich.
- lassen sich durch äußere Reize leicht ablenken.
- sind bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
Hyperaktivität
Die Kinder
- zappeln häufig mit Händen oder Füßen oder rutschen auf dem Stuhl herum.
- verlassen ihren Platz in Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird.
- laufen häufig herum oder klettern in unpassenden Situationen.
- haben häufig Schwierigkeiten, sich ruhig zu beschäftigen.
- sind häufig „auf Achse“ oder handeln, als wären sie „getrieben“.
- reden häufig übermäßig viel.
Impulsivität
Die Kinder
- platzen mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist.
- können nur schwer warten, bis sie an der Reihe sind.
- unterbrechen und stören andere häufig.
Doch das sind bei Weitem nicht alle Auffälligkeiten. Denn Heranwachsende mit ADHS weisen in der Regel noch eine Vielzahl weiterer Besonderheiten auf. Hier die wichtigsten davon:
Kinder mit ADHS:
lügen oft
neigen zu Extremen
zer-diskutieren alles
können nicht verlieren
kommen eher mit jüngeren/älteren Kindern zurecht
haben ein schlechtes Zeitgefühl
erröten leicht
kommen oft zuspät
Außerdem sind Kinder mit ADHS oft:
ängstlich
chaotisch
sprunghaft
der Klassenclown
geräuschempfindlich bei gleichzeitiger Produktion ständiger eigener Geräusche
distanzlos
ungeduldig
unordentlich
sehr sensibel (Haut und Seele)
Einen Überblick zu weiteren ADHS-typischen Verhaltensweisen und Auffälligkeiten finden Sie in diesen Podcasts bzw. listet Cordula Neuhaus in ihrem Buch „ ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ auf den Seiten 118-134 eine Checkliste an weiteren Auffälligkeiten auf.
Diagnose
Die Diagnose einer ADHS umfasst mehrere Tests und Untersuchungen, wenn sie so durchgeführt wird, wie die S3-Leitlinie 2018 das fordert. Eine Reihe von Fähigkeiten und Verhaltensweisen des Kindes wird dabei mit den verschiedensten Verfahren getestet.
Aber auch Seh- und Hörtests werden durchgeführt. So können andere Ursachen für das auffällige Verhalten bzw. die Defizite ausgeschlossen werden. Außerdem sollten die Eltern und andere Bezugspersonen Fragebögen ausfüllen, damit der Diagnostiker ein breites Bild bekommt.
Und wer ist der Diagnostiker? Auch hier ist die S3-Leitlinie sehr klar: Diagnosen dürfen nur von Personen durchgeführt werden, die dazu nachweislich befähigt sind. Wichtig ist hier aber vor allem eines: Die diagnostizierenden Personen sollten nicht nur eine Ausbildung haben, die den Leitlinien entspricht, sondern sie müssen unbedingt Erfahrung in der Diagnose von ADHS haben!
Als Laie geht man meist davon aus, dass ein Kinder- und Jugendpsychiater bzw. ein Psychologe in der Ausbildung ausführlich über dieses Syndrom informiert worden ist und somit beste Voraussetzungen für die Diagnose hat.
Dem ist aber leider in aller Regel nicht so, da sämtliche in Frage kommenden Fachleute aus dem Psychologie/Psychiatrie-Spektrum über eine Vielzahl von anderen Störungen, Auffälligkeiten und psychiatrischen Erkrankungen ebenfalls Bescheid wissen müssen und die Spezialisierung auf ADHS daher zusätzlich zu dieser Grundausbildung erfolgen muss.
Fragen Sie daher unbedingt nach den Erfahrungen des Diagnostikers mit ADHS,
wenn Sie Ihr Kind diagnostizieren lassen wollen.
Therapie
Die Frage nach der „richtigen“ Therapie global zu beantworten, ist unmöglich. Wenn Ihnen also jemand erklären will, seine Therapie oder sein Produkt sei das einzig wahre, sollten Sie mehr als skeptisch sein.
Denn welche Therapien für ein Kind mit ADHS passen, hängt von mehreren Dingen ab:
- vom Schweregrad der ADHS
- davon, wo das Kind die größten Defizite bzw. Probleme hat
- welche dieser Defizite beim Kind und seiner Familie die meisten Probleme verursachen
- wie alt das Kind ist, denn je älter ein Kind bei der Diagnose ist, desto gefestigter sind meist Verhaltensmuster und Familiendynamiken
- wie groß der Leidensdruck beim Kind und in der Familie insgesamt ist (je größer, desto eher werden Medikamente fixer Bestandteil im Therapiemix sein)
- und von vielen Dingen mehr
Eines aber schon vorweg: Einer der wichtigsten Bestandteile im Therapiemix – wenn nicht sogar der wichtigste – ist ein gutes Elterntraining. Denn die Beziehung zwischen Eltern und Kind ist der Nährboden, auf dem alle anderen Maßnahmen erst keimen können. Es ist daher eine Therapieform, die nie falsch sein kann.
Hier einige Tipps, wie Sie ein gutes Elterntraining finden können.
Ein weiterer Bestandteil im Therapiemix sind laut Leitlinien Medikamente. Dabei handelt es sich aber um eines der umstrittensten Themen in der ADHS-Szene, denn hier geht es um eine Angelegenheit, bei der man als Mutter oder Vater keinen Fehler machen möchte.
Hören Sie dazu gerne diese Podcasts – danach wird Ihnen diese überaus wichtige Entscheidung bestimmt leichter fallen!
Viele dieser Störungen können vermieden werden, wenn die ADHS rechtzeitig erkannt und behandelt wird. Hier gilt eindeutig: Je früher Kinder mit ADHS Hilfe bekommen, desto geringer die Gefahr für diese sogenannten komorbiden Störungen!
Wenn Sie also den Verdacht haben, Ihr Kind könnte tatsächlich ADHS haben, dann zögern Sie bitte nicht damit, sich einen Termin für eine Diagnose auszumachen. Die Wartezeiten auf Termine sind in der Regel ohnehin sehr lang.
Welche Störungen treten häufig gemeinsam mit einer ADHS auf?
ADHS ohne Begleitung von anderen Störungen gibt es leider nur selten. Zwischen 70 und 90 Prozent der Kinder mit ADHS / ADS haben noch eine oder gleich mehrere weitere Störungen. Hier die wichtigsten davon:
- Störung des Sozialverhaltens (Kinder, die sich sozial auffällig verhalten, z. B. Probleme bei der Integration in Gruppen haben)
- Oppositionelle Störungen des Sozialverhaltens (Kinder, die sich allem widersetzen, kein Regelverhalten zeigen, auch aggressiv werden)
- Depressive Störungen
- Angststörungen (z. B. Angst im Dunkeln)
- Lernstörungen, Teilleistungsschwächen (Lese-Rechtschreibschwäche bzw. Rechenschwäche)
- Tic-Störungen (ständig mit den Augen blinzeln, Schulterzucken, Räuspern etc.)
- Motorische Entwicklungsstörungen (vor allem in der Feinmotorik, z.B. beim Schleifenbinden oder Stifthalten und der Koordination)
- Auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen (Gehörtes wird nicht „richtig“ verarbeitet bzw. interpretiert und abgespeichert)
- Asperger-Syndrom
- Entwicklungsstörungen der Sprache
- Einnässen und Einkoten
- Essstörungen
Mit welchen anderen Krankheiten oder Störbildern kann ADHS verwechselt werden?
Verschiedene Erkrankungen können oft zu Verhaltensweisen führen, die manchmal fälschlicherweise als ADHS-Symptome interpretiert werden.
Dazu zählen Epilepsie, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Manie, Schizophrenie, Erschöpfungszustände, Stoffwechselstörungen, Angststörungen, das Fragile-X-Syndrom, FASD (Fetale Alkohol Spektrum Störung) und einige andere mehr.
Einige ADHS-ähnliche Symptome können aber auch durch bestimmte Lebensumstände ausgelöst werden. Kinder,
Kinder mit ADHS als Schwester / Bruder
Von ADHS betroffene Heranwachsende sind in der Regel auch als Schwester oder Bruder „besonders“: Sie meinen meist alles bestimmen zu müssen, haben das Gefühl, immer alles besser zu wissen, sind kaum kritikfähig, explodieren bei der kleinsten Kleinigkeit, mischen sich in ihrem Taten- und Ideendrang überall ein, verbreiten leider unentwegt Chaos und der Schalk sitzt ihnen im Nacken – was oft für nicht betroffene Geschwisterkinder zu peinlichen Situationen führt.
All das sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um die Beziehung zu Schwester oder Bruder reibungslos und entspannt zu halten. Daher klagen Eltern von Kindern, von denen eines ADHS hat, bei Weitem öfter über Streit zwischen ihren Kindern als Eltern von nicht betroffenen Heranwachsenden.
Anregungen, wie man für mehr Entspannung zwischen den Geschwistern und so auch im Familienalltag sorgen kann, finden Sie in diesen Podcast-Episoden.
Haben Kinder mit ADHS Freunde?
Durch ihr impulsives und hibbeliges Verhalten finden Kinder mit ADHS oftmals in Gruppen keinen Anschluss.
Im Kindergarten stören sie andere Kinder häufig beim Spielen, fallen im Stuhlkreis immer wieder negativ auf und halten meistens Spielregeln nicht ein.
In der Schule verschärfen sich durch das lange Still-Sitzen-Müssen die Probleme noch. Dazu kommt, dass die Kinder nicht die Leistungen zeigen können, die sie aufgrund ihrer Intelligenz eigentlich erbringen könnten. Denn entweder sie träumen vor sich hin oder aber sie wissen aufgrund ihrer Reizfilterschwäche gar nicht, worauf sie sich als erstes konzentrieren sollen: auf das, was die Lehrkraft sagt, auf den Nachbarn, der grade einen Stift sucht oder auf das Vögelchen vorm Fenster.
So sinkt ihr Selbstwert von Monat zu Monat und irgendwann entdecken sie für sich die Rolle des Klassenclowns oder des nach außen hin Coolen, der sich auch gerne mal mit Schimpfwörtern oder den Fäusten verteidigt. Manche aber, vor allem die von ADS betroffenen Kinder, ziehen sich vollkommen in sich zurück. Beides hindert sie dann oft daran, Freunde zu finden.
Und so enden diese nach außen so schroff wirkenden, in Wahrheit aber meist zart beseelten Kinder oft als Außenseiter.
Aber Kinder mit ADHS haben auch ganz viele positive Eigenschaften!
Immer wieder hört man von geplagten Eltern, ihr Kind sei so extrem anstrengend, weil …
Aber nachdem sich die Eltern dann ihren Frust von der Seele geredet haben, kommt meist Folgendes: „Dabei kann er so lieb und hilfsbereit sein. Und wie fürsorglich er mit der kleinen Nichte / der Katze / dem Nachbarshund umgeht … das passt so überhaupt nicht dazu, wie aggressiv er manchmal werden kann.“
Dieses und Ähnliches hört man von den meisten Eltern von betroffenen Kindern. Dass das kein Widerspruch ist, ist in der Literatur immer wieder zu lesen.
Hier deshalb die häufigsten positiven Eigenschaften von Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Sie sind meist überaus:
begeisterungsfähig
empathisch
loyal
kreativ
hilfsbereit
humorvoll
gute Beobachter
neugierig
tierlieb
gutmütig
Stehaufmännchen
wissbegierig
sozial
nicht nachtragend
Außerdem:
- sind sie sensibel für Stimmungen
- durchschauen andere in Sekunden
- sind Gerechtigkeitsfanatiker
- haben einen starken Willen
- setzen sich für Schwächere ein
- haben oft ungewöhnliche Ideen
- und können sich stundenlang intensiv mit Dingen beschäftigen, die sie interessieren (in der Fachwelt nennt man das „hyperfokussieren“)
Zunächst einmal zur S3 Leitlinie:
„Bei Kindern und Jugendlichen sollte die Diagnose einer ADHS durch einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, oder einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, oder einen Psychologischen Psychotherapeuten mit Zusatzqualifikation für Kinder und Jugendliche, oder einen Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Erfahrung und Fachwissen in der Diagnostik von ADHS durchgeführt werden.“ (Leitlinie 2018, S. 11). Idealerweise sollte das sogar jemand sein, der nicht nur seiner Berufsbezeichnung wegen dazu befähigt ist, ADHS zu diagnostizieren, sondern der sich innerhalb dieser ausgewiesenen Berufskategorien auf ADHS spezialisiert hat.
In Österreich darf auch ein/e Psychiater/in nach einem Anamnesegespräch die Diagnose ADHS stellen und klassische ADHS-Medikamente verordnen. Viele PsychiaterInnen wollen aber die Bestätigung ihrer Einschätzung durch eine Testung von klinischen Psychologen.
Klinische Psycholog/innen dürfen ebenfalls die Diagnose ADHS stellen, hier genügt das Anamnesegespräch alleine jedoch nicht, sondern es muss eine nachvollziehbare Testbatterie durchgeführt werden sowie störungsbild-spezifische Fragebögen auch unter Einbeziehung der Eltern ausgewertet werden. Diese Diagnosen werden für alle nicht-medikamentösen Behandlungen anerkannt. Sobald eine Medikation nötig wird, muss ein/e Psychiater/in hinzugezogen werden.
Schweregrad der ADHS:
Die Ausprägungsgrade der ADHS sind in der Leitlinie 2018 wie folgt beschrieben:
„Leichtgradig: Es treten wenige oder keine Symptome zusätzlich zu den Symptomen auf, die zur Diagnosestellung erforderlich sind und die Symptome führen zu nur geringfügigen Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen.
Mittelgradig: Die Ausprägung der Symptomatik und der funktionalen Beeinträchtigung liegt zwischen ‚leichtgradig‘ und ‚schwergradig‘, d. h., trotz einer nur geringen Symptomausprägung besteht eine deutliche funktionelle Beeinträchtigung durch die Symptomatik oder trotz derzeit nur geringfügigen Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen übersteigt die Ausprägung der Symptomatik deutlich das zur Diagnosestellung erforderliche Ausmaß.
Schwergradig: Die Anzahl der Symptome übersteigt deutlich die zur Diagnosestellung erforderliche Anzahl oder mehrere Symptome sind besonders stark ausgeprägt und die Symptome beeinträchtigen die soziale, schulische oder berufliche Funktionsfähigkeit in erheblichem Ausmaß“ (Leitlinie, 2018, S. 19).
Elterntraining:
Elterntrainings können sowohl live als auch online stattfinden. Fragen Sie am besten in Selbsthilfegruppen oder auf den sozialen Medien in ADHS-Gruppen nach, welche Erfahrungen Eltern mit diversen Elterntrainings gemacht haben. Verlassen Sie sich also lieber auf Empfehlungen als auf Versprechungen auf Webseiten.
Reizfilterschwäche:
Es handelt sich dabei um das Unvermögen, wichtige von unwichtigen Reizen zu unterscheiden und nur die relevanten „ins Gehirn zu lassen“. Von ADHS betroffene Kinder (und im Übrigen auch Erwachsene), verfügen oftmals nicht über diesen Filter. Aufgrund dieser Reizoffenheit prasseln dann Geräusche, Worte, optische Eindrücke und Gerüche oft wie aggressive Hagelkörner ungeschützt auf das Gehirn ein, wodurch Betroffene das Gefühl bekommen, ihr Kopf würde „überkochen“.
Deshalb fahren die Heranwachsenden dann zum Selbstschutz unbewusst immer wieder innerlich ihre Rollläden hinunter. Denn wenn sie sich in ihre eigene Welt zurückziehen, und die Reize ausblenden, kommt das Gehirn wieder zur Ruhe.
Andere nehmen das aber als Desinteresse oder Motivationslosigkeit wahr, weil sie sich gar nicht vorstellen können, wie sehr sich das Gehirn der betroffenen Kinder nach Ruhe und Entlastung sehnt.
Werden die Kinder dann aber darauf angesprochen, warum sie z.B. in der Schule die momentane Aufgabe nicht bearbeiten, können sie all das natürlich nicht erklären, fühlen sich in die Enge gedrängt und geben dann oft Antworten wie „Ich hab keinen Bock“ oder „Ne, das mach ich nicht, interessiert mich nicht“.
In Wahrheit ist ihnen aber alles gerade zu viel oder sie denken, dass sie die Aufgabe ohnehin nicht schaffen würden und wollen sich diese Blöße nicht geben. Reaktionen wie diese sind also in aller Regel ein Selbstschutz für den oftmals ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogenen Selbstwert.