In diesem Video kommentiert Russell Barkley die Debatte um „Pillen versus Fähigkeiten“ (Pills vs. Skills) bei der Behandlung von ADHS, die in aktuellen Artikeln und Podcasts immer wieder aufkommt. Er bezeichnet diese Gegenüberstellung als eine „falsche Dichotomie“.
Die Hauptkritikpunkte an dieser Idee sind:
- Beide Ansätze schließen sich nicht gegenseitig aus: Die Vorstellung, dass man entweder Medikamente gibt oder Fähigkeiten lehrt, ist laut Barkley „dumm“. Es wird empfohlen, beide Behandlungsansätze zu kombinieren, wobei Medikamente für die Mehrheit der Betroffenen oft eine Hauptkomponente der Behandlung darstellen.
- Medikamente sind in der Wirksamkeit überlegen: In direkten Vergleichen sind Medikamente zwei- bis dreimal effektiver als psychologische Interventionen (wie Verhaltens-, Kognitiv- oder Fertigkeitstraining) bei der Verbesserung oder Genesung von ADHS-Symptomen. Während Fertigkeitstraining hilfreich sein kann, ist es den Medikamenten nicht gleichwertig oder überlegen; tatsächlich ist es umgekehrt. Ohne unterstützende Medikation kann das Gelernte meist nicht gespeichert werden.
- ADHS ist keine Wissensstörung, sondern eine Leistungsstörung: Die Annahme, dass Menschen mit ADHS dumm oder unwissend sind und ihnen lediglich Fähigkeiten fehlen, ist falsch.
„You know what to do, but you can’t do what you know“
( = Das Wissen ist vorhanden, aber die Menschen scheitern an der Umsetzung) - Die Gehirnfunktion bei ADHS: Barkley erklärt vereinfacht, dass das Gehirn aus einem „Wissensgehirn“ (hinterer Teil, für Informationserwerb und -speicherung) und einem „Leistungsgehirn“ (vorderer Teil, für Handlung und Aktivierung des Wissens) besteht. Bei ADHS ist die Verbindung zwischen Wissen und Anwendung gestört: Das Wissen wird möglicherweise nicht aktiviert oder nicht zur Steuerung des Verhaltens genutzt.
- Wie Medikamente wirken: Medikamente verleihen kein neues Wissen, sondern ermöglichen es, das vorhandene Wissen zu nutzen, indem sie die Verbindung zwischen dem Wissens- und dem Leistungsgehirn verbessern. Sie helfen dabei, dass Wissen nicht nur aktiviert wird, sondern vor allem das Verhalten steuert.
- Der Unterschied zwischen Fähigkeiten und Anpassungen (Accommodations): Während ein gewisses Fertigkeitstraining nützlich sein kann, konzentrieren sich psychologisch basierte Interventionen (wie Coaching oder KVT) bei ADHS wichtigerweise darauf, die Umgebung so anzupassen (Accommodations), dass die Beeinträchtigungen durch die Symptome reduziert werden. Es geht darum, die Umgebung neu zu organisieren, um die Effektivität im täglichen Leben zu steigern, nicht nur darum, den Betroffenen beizubringen, wie sie sich verhalten sollen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Idee, „Pillen versus Fähigkeiten“ sei eine Wahl, ignorant gegenüber der Natur von ADHS und der Forschung zu ihrer Behandlung ist. Medikamente sind oft effektiver, weil sie das grundlegende Problem der Leistungsstörung beheben, während Fähigkeiten zwar hilfreich sind, aber nicht das Kernproblem des „Wissens, das nicht zum Handeln führt“, lösen können.
Zur Person: Russell Barkley MD ist ein weltweit führender ADHS-Experte. Seit seiner Pensionierung stellt er sein Wissen auf Youtube der Allgemeinheit zur Verfügung. Neben Sachbeiträgen werden regelmäßig neue Studien besprochen. ADAPT kann ein Abonnement seines Kanals nur wärmstens empfehlen.
Herzlichen Dank an E.F. aus unserer Erwachsenencommunity, der die Kernaussagen des Videos auf Deutsch zusammengefasst hat.