Scham bei ADHS ist oft kein lautes Gefühl, sondern eher ein Grundrauschen, das gekommen ist, um zu bleiben. Es ist ein Zustand, der Selbstwert, Beziehungen und Alltag beeinflusst. Scham muss sich jedoch nicht immer gleich auswirken. Sobald Menschen die Scham benennen, sich ihre inneren Stimmen bewusst machen und ihnen mit Freundlichkeit begegnen, kann die ungebetene Begleiterin Schritt für Schritt abgebaut werden.
Scham im Alltag
Viele Menschen mit ADHS erleben Scham als beständigen, leisen Begleiter. Er unangenehmes Gefühl, das kaum ausgesprochen wird. Beispiele für Schamgefühle sind Bauchziehen, wenn man wieder etwas vergessen hat oder Hitze im Gesicht, wenn man merkt, dass andere genervt sind. Außerdem ist da auch die Stimme im Kopf, die sagt: „Du bist faul“ oder „Du kriegst nichts hin“.
Unterschiede zwischen Scham und Schuld
Scham bezieht sich auf das gesamte Selbst/Ich-Bild („ich bin falsch“), nicht nur auf ein Verhalten wie bei der Schuld („ich habe etwas falsch gemacht“).
Körperliche Symptome sind z. B. Erröten, erhöhter Puls, Muskelanspannung sowie das Gefühl, „erstarren“ oder „klein werden“ zu wollen.
Wie Scham bei ADHS entsteht
Wiederholte Erfahrungen von “Nicht Genügen”‑, Vergessen, Kritik und das Gefühl, anders zu sein, erzeugen über die Jahre sogenannte Schambewegungen und nicht nur vorübergehende Gefühle. Eine späte Diagnose verschärft das Gefühl: Man blickt zurück auf all die Momente, in denen man sich selbst falsch beurteilt hat oder Beschämung durch Andere hinnehmen musste. Die Scham wird Teil der eigenen Lebensgeschichte, was den Leidensdruck erhöht.
Viele Betroffene greifen auf das Masking zurück: Verbergen der eigenen Schwächen und Andersartigkeit. Das kostet viel Energie und trägt dazu bei, dass Schamgefühle sich selbst verstärken.
Verbindung mit Trauma, Bindung und Neurobiologie
Früh erlebte Kritik, instabile Beziehungen und Verletzungen können die Scham vertiefen, weil sie äußere Anforderungen und innere Selbstbilder stark beeinflussen. Neurobiologisch wirkt Scham über mehrere Systeme: Belohnungssystem (z. B. Dopaminregulation), Stressachsen (HPA‑Achse), autonomes Nervensystem. All diese Prozesse werden von ADHS-Betroffenen mit höherer Empfindlichkeit erlebt. Sie reagieren stärker auf Zurückweisung und Kritik.
Wege im Umgang mit Scham
- Psychoedukation und Psychotherapie: Verstehen, was ADHS ist und erkennen, dass viele Schamgefühle nicht aus eigener Schuld entstehen, sondern durch wiederholte negative Erfahrungen.
- Dem inneren Kritiker begegnen: Versuche nicht dem inneren Kritiker zu übertönen, sondern seine Botschaften zu erkennen, sie zu übersetzen und in sanftere Aussagen umzuwandeln
- Körper- und Beziehungsarbeit: Körperliche Übungen, bewusste Atmung, Haltung, Blickkontakt und das Teilen von Scham in unterstützenden Beziehungen können Heilungsprozesse fördern.
- Kleine Schritte: Veränderungen brauchen Zeit. Oft helfen schon kleine Schritte im Alltag, um der Scham eine neue Bedeutung zuzuweisen bzw. Abstand zu gewinnen.
Quelle:
Zum vollständigen Artikel gelangst du hier: ADHS und Scham – Wenn die innere Stimme nie aufhört zu urteilen, Psychotherapie5stück (Berlin)
Zur Autorin:
Sibylle Fünfstück ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, zertifiziert in Traumatherapie, Verhaltenstherapie und Schematherapie. Ihre Praxis befindet sich im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.