Die Geschichte der Schweizer Leichtathletin Catia Gubelmann zeigt eindrucksvoll, wie ein offener Umgang mit ADHS nicht nur zur persönlichen Heilung, sondern auch zu sportlichem Erfolg führen kann
Aufmerksamkeit, Fokus, Impulskontrolle: Das sind Fähigkeiten, die im Leistungssport genauso gefragt sind wie Ausdauer, Kraft oder Technik. Was aber, wenn genau diese Fähigkeiten durch eine neurobiologische Besonderheit eingeschränkt sind? Menschen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) kämpfen oft mit Konzentrationsschwierigkeiten, starker Reizoffenheit, innerer Unruhe und emotionaler Impulsivität. Das sind Symptome, die in einem Umfeld voller Druck, Routinen und Leistungsbewertung schnell zum Verhängnis werden können.
ADHS wird im Spitzensport und auch im Breitensport, aus welchem sich viele Athletinnen und Athleten heraus entwickeln, oft nicht wahrgenommen oder gar tabuisiert. Die Angst vor Stigmatisierung, das Missverständnis der Symptome und die Sorge um Dopingvorwürfe sorgen dafür, dass viele Betroffene jahrelang ohne Diagnose oder adäquate Hilfe auskommen müssen. Manche verlieren ihren Anschluss oder Zugang zum Spitzensport vielleicht sogar, weil sie nie eine Diagnose erhalten oder als “schwierig auszubildend” angesehen werden.
Das Beispiel einer Schweizer Leichtathletin im „Tageszeiger“ beschreibt die vielen Tücken und Herausforderungen. Catia Gubelmann fühlt schon früh, dass sie anders ist als Gleichaltrige: Impulsiv, emotional, voller Energie. In der Schule kommt sie mit guten Noten durch, gleichzeitig ist sie emotional überfordert. Ein Suizidversuch in ihrer Jugend führt zu einer jahrelangen inneren Krise. Erst danach wird sie mit ADHS diagnostiziert.
Diagnose als entscheidender Wendepunkt
Die ADHS-Diagnose verändert dann den Kurs der jungen Frau. Die Klarheit über ihre Veranlagung ersetzt innere Unruhe und Selbstzweifel. Endlich versteht sie, warum sie sich „strohdumm“ fühlte, obwohl sie eigentlich intelligent und ehrgeizig ist.
Seit knapp zwei Jahren nimmt sie Ritalin, ein Medikament, das ihr eine klare Trennung zwischen Chaos und Struktur ermöglicht. Konzentration und Energie sind deutlich gesteigert und sie kann ihr volles sportliches Potenzial entfalten. Innerhalb von 12 Monaten verbessert sie sich im Siebenkampf um nahezu 1000 Punkte und sie qualifiziert sich sogar für die Weltmeisterschaft. Für die Verschreibung von Ritalin bekommt sie eine Ausnahmebewilligung. Einschlafprobleme und Appetitlosigkeit als Nebenwirkung des Medikaments kann sie erfolgreich ausgleichen.
Den Mut aufbringen, über ADHS zu sprechen
Catia tritt bewusst in die Öffentlichkeit, um ein Zeichen zu setzen: ADHS ist keine Schwäche, sondern eine legitime, neurodiverse Realität im Leistungssport. Das Thema wird heutzutage unterschätzt. Viele Athletinnen und Athleten erhalten ihre Diagnose zu spät oder gar nicht. Ohne solche öffentlichen Vorbilder wie Catia bleibt das psychische Leid hinter dem Syndrom unsichtbar.
Das gesamte Interview mit der Athletin (vom 22.06.2025) ist auf tagesanzeiger.ch veröffentlicht worden: https://www.tagesanzeiger.ch/spitzensport-und-adhs-catia-gubelmann-spricht-ueber-ritalin-203626028179